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06. Dezember 2010
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Zweiter Sozialbericht zur Armut im Kanton Bern: Die Zahl der von Armut betroffenen Personen ist gestiegen

Im Kanton Bern ist die Zahl der armen und der armutsgefährdeten Personen von 2001 bis 2008 kontinuierlich gestiegen. 2008 waren 97'000 Personen von Armut betroffen. Sieben Jahre früher waren es knapp 76'000 Personen. Diese Zahlen sind dem zweiten Sozialbericht des Kantons Bern zu entnehmen, den Regierungspräsident Philippe Perrenoud, Gesundheits- und Fürsorgedirektor, an einer Medienkonferenz von heute Montag (6. Dezember 2010) vorgestellt hat. Der Bericht nimmt speziell die Situation der Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Bezug auf Armut unter die Lupe.

Auch in wirtschaftlich besseren Zeiten steigt die Zahl der von Armut betroffenen Personen kontinuierlich an. Und: Von wirtschaftlich besseren Zeiten können nicht alle Bevölkerungsschichten profitieren. Dies zeigt der zweite Sozialbericht des Kantons Bern. Die gängige Annahme, Armut sei eine Folge wirtschaftlich schlechter Phasen, ist für Regierungspräsident Philippe Perrenoud, Gesundheits- und Fürsorgedirektor, damit widerlegt:„Armut ist ein strukturelles und nicht ausschliesslich ein konjunkturelles Problem.“ Der neue Sozialbericht stellt die Entwicklung der Armut in den Jahren von 2001 bis 2008 dar. Die Auswertung der Daten zeigt, dass die Quote der armen und armutsgefährdeten Personen in dieser Zeitspanne von 10,8 auf 12,5 Prozent gestiegen ist. Damit waren 2008 rund 57'000 Haushalte mit insgesamt 97'000 Personen arm oder an der Schwelle zur Armut. Gleichzeitig hat sich in diesen Jahren die Einkommenssituation derärmsten zehn Prozent massiv verschlechtert: Ihr verfügbares Einkommen ist um einen Fünftel gesunken, während dasjenige derübrigen Bevölkerung stabil geblieben oder leicht gestiegen ist. Grund für die verschlechterte Situation derärmsten Bevölkerungsschichten ist die schwierigere Integration in den Arbeitsmarkt.

Für die Betroffenen ist Armut kein kurzzeitiges Problem. Durchschnittlich bleibt eine in Armut geratene Person vier Jahre arm. Während sich 40 Prozent nach einem Jahr von der Armut lösen können, dauert diese Situation bei 30 Prozent zwei bis vier und bei weiteren 30 Prozent fünf und mehr Jahre an. Zudem zeigt der zweite Sozialbericht, dass vier von zehn Personen, die ihre Armutssituationüberwunden haben, im Verlauf der folgenden vier Jahre erneut mit finanziellen Engpässen konfrontiert waren. Allgemein kann gesagt werden: Je länger eine Person arm oder armutsgefährdet ist, desto geringer sind ihre Chancen für eine finanzielle Verbesserung der Situation.

Eine wichtige Voraussetzung zur Vermeidung von Armut ist ein Erwerbseinkommen. Eine lang andauernde Integration in den Arbeitsmarkt setzt wiederum eine Ausbildung nach der obligatorischen Schulzeit voraus. Die Weichen für diese Voraussetzungen werden in erster Linie nach der obligatorischen Schulzeit gestellt. Aus diesem Grund ist die Situation der Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Zusammenhang mit Armut im zweiten Sozialbericht speziell analysiert worden. Die Altergruppe der 18- bis 25-Jährigen istüberdurchschnittlich auf Sozialhilfe angewiesen. Im Jahre 2008 betrug die Sozialhilfequote der 18- und 19-Jährigen 5,8 Prozent (Durchschnitt 3,9 Prozent). Die Auswertung der Daten im zweiten Sozialbericht des Kantons Bern zeigt, dass es sich dabei nicht um arbeitsscheue Personen handelt. 22 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Sozialhilfe sind erwerbstätig. Rund 27 Prozent absolvieren eine Ausbildung. Ein Teil der anderen Hälfte ist zudem aus gesundheitlichen Gründen oder wegen einer Betreuungssituation nicht erwerbstätig.

Für den Regierungsrat des Kantons Bern gehört die Bekämpfung der Armut weiterhin zu den Politschwerpunkten. Er hält in den Regierungsrichtlinien für die Jahre 2011 bis 2014 fest, dass die Strategie der Armutsbekämpfung mit ihren Massnahmen in der Sozial-, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik eine Existenz sichern soll, die allen eine zumindest minimale Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben gewährleistet. Zudem hat der Regierungsrat aufgrund der Ergebnisse des zweiten Sozialberichts eine erste Massnahmendiskussion geführt und die Verwaltung beauftragt, in einem ersten Schritt drei Massnahmen vertieft zu prüfen:

  • Die Neuausrichtung der Konsultationskommission Sozialhilfegesetz: Die bestehende Kommission soll ihren Beratungsauftrag von der Sozialhilfe auf weitere Themen und Fragestellungen einer breit verstandenen Existenzsicherungspolitik ausdehnen.

          
  • Eine lückenlose Beratungskette in der Begleitung Jugendlicher bis zu einer Anschlusslösung nach der Ausbildung: Heute richten die Sozialdienste ihre Angebote auf die Gesamtheit der heterogen zusammengesetzten Gruppe der Sozialhilfebeziehenden aus, so dass die Sozialdienste gar nicht ein allzu spezifisches Beratungsangebot für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen zur Verfügung stellen können. Es ist daher zu prüfen, ob ein Bedarf für eine ergänzende Begleitung besteht, die bis zu einer Anschlusslösung nach der Ausbildung andauern würde. Diese Massnahme ist für Jugendliche mit einem entsprechenden Bedarf, auch unabhängig von einem Sozialhilfebezug, zu prüfen.

         
  • Die Harmonisierung der Stipendien- und der Sozialhilfeordnung: Die Zahlen der Sozialhilfe belegen, dass ein beträchtlicher Teil der Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Ausbildung trotz der bestehenden Stipendienregelung auf Sozialhilfe angewiesen bleibt. Um zu verhindern, dass die gleiche Person Leistungen aus zwei verschiedenen Systemen bezieht, wird in einem Pilotprojekt die Harmonisierung der Stipendien- und der Sozialhilfeordnung zu prüfen sein.

Die Regierung hat die Gesundheits- und Fürsorgedirektion beauftragt, in Zusammenarbeit mit anderen Direktionen, bis Ende 2012 einen Bericht mit einem Massnahmenplan zur Bekämpfung der Armut zu unterbreiten, der die Ergebnisse der Prüfung dieser Massnahmen, allenfalls aber auch weitere Massnahmen, umfasst

Vor zwei Jahren hat die Gesundheits- und Fürsorgedirektion den ersten Sozialberichtüber die Armut im Kanton Bern veröffentlicht. Dass im Kanton Bern rund 50'000 Haushalte als arm oder armutsgefährdet gelten, in denen 90'000 Personen, davon 20'000 Kinder leben, hat damals Schlagzeilen und schliesslich eine breite Diskussion ausgelöst.„Mit diesem Bericht hat eine Sensibilisierung für das Thema Armut eingesetzt“, sagte Regierungspräsident Philippe Perrenoud. Mit Befriedigung stellte er zudem fest, dass die Armutsproblematik in der Zwischenzeit auch auf Bundesebene zu einem Thema geworden ist.

Gleichzeitig mit dem zweiten Sozialbericht hat die Gesundheits- und Fürsorgedirektion den Bericht„Kontrolle der Kosten in der individuellen Sozialhilfe“, der auf einen parlamentarischen Vorstoss zurückgeht, zuhanden des Grossen Rats veröffentlicht. Er wertet die Daten der wirtschaftlichen Sozialhilfe aus den Jahren 2007, 2008 und 2009 aus (Entwicklung der Sozialhilfequote und der Nettokosten, je aufgeschlüsselt nach Amtsbezirken; Sozialhilfebezug nach Alter, Geschlecht, Haushaltstyp und Erwerbssituation).

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